“Geschichte der Familie Schaffer” Geschrieben 1902 von Albert Schaffer

Lehrer am Gymnasium in Torgau

 

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Im Frühjahr 1864 legte ich in Halberstadt die zweite Prüfung ab, (die jeder Lehrer zu machenhat) nachdem ich mich kurz vorher zu einer erledigten Stelle in Torgau gemeldet hatte. Als von der Prüfung zurückkehrte, fand ich schon die Aufforderung vor, mich zur Abhaltung einerProbelektion an einem bestimmten Tage einzufinden. Ich hatte nur so viel Zeit, um demSuperintendenten Mitteilung davon zu machen und um Urlaub zu bitten, auch mein Bündelumzupacken, dann saß wieder im Postwagen und gondelte nach Torgau zu. Ich bestand dieProbe und erhielt die Bestätigung meiner Wahl am Gründonnerstag. Sonnabend vor Osternwar ich in Magdeburg beim Regierungsrat Trinkler wegen meiner sofortigen Entlassung von Schneidlingen, erhielt dieselbe auch, und am Mittwoch nach Ostern siedelte ich schon nach Torgau über, nachdem ich noch meine Möbel dem Collegen Lange übergeben hatte, der sie meinem Nachfolger verkaufen sollte. Das geschah dann auch später.

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Torgau.

Hier traf ich meinen Landsmann Wilh. Schulze wieder, der schon seit einem halben Jahr hier angestellt war. Durch Vermittlung eines lieben anderen Collegen fand ich bald eine passendemöblierte Wohnung im Hause eines älteren Lehrers, zwar auf dem Hofe, aber in guter Luft mit Aussicht auf schöne Gärten. Für Stube und Kammer bezahlte ich den bescheidenen Preis von 6 M. monatlich. Es war auch gut so, denn mit meinen 225 Thalern Gehalt konnte ich kaum soweit kommen als in Schneidlingen, doch fand sich bald Gelegenheit, durch Klavierunterricht und Nachhilfestunden noch eine hübsche Summe dazu zu verdienen. Dadurch wurde es mir Möglich, alljährlich eine größere Reise in den Sommerferien zu unternehmen, wie ich es schon in Schneidlingen gethan hatte. Im Laufe der Jahre lernte ich auf diese Weise die sächsischeund die märkische Schweiz (letztere gelegentlich des Aufenthaltes meines Bruders Otto in Neustadt-Eberrswalde), das Riesengebirge, Rügen, Hamburg und Kiel und den Rhein kennen. Nach Kiel kam ich 1870, den Ausbruch des Krieges erfuhr ich erst unterwegs auf der Reisedahin, ich wollte ja zunächst meinen Bruder Gustav besuchen, wir hatten aber auch einen gemeinschaftlichen Ausflug nach Kopenhagen geplant. Leider machten uns die Franzosen einen Strich durch die Rechnung, denn der Hafen wurde aus Besorgnis vor dem Erscheinen der französischen Flotte für Privatschiffe gesperrt. In der Stadt herrschte eine ungeheure Aufregung. Nach 14 tägigem angenehmen Aufenthalte, bei welchem ich auch die Umgebung Kiels kennen lernte, reiste ich wieder zurück, aber es hielt schwer, nach Torgau wieder zurück zu gelangen. Züge mit Personenbeförderung gingen nur selten und unregelmäßig. So war ich z.B. genötigt, in Berlin einen ganzen Tag liegen zu bleiben und kam dann nur bis Wittenberg, von wo aus ich mit der Post weiter fahren mußte. - Zu den Festzeiten besuchte ich die Mutter und später Bruder Otto in Annaburg oder blieb auch zu Hause. Da eine Fahrgelegenheit nach Annaburg nicht bestand, mußte ich den vierstündigen Weg durch den großen Wald zu Fuß

zurücklegen, was besonders im Winter bei Schnee nicht besonders angenehm war. In die Zeit meines Torg. Aufenthaltes fielen die drei Kriege gegen die Dänen, Österreicher und Franzosen. Der Dänische Krieg war ja allerdings fast vorbei, als ich nach hier kam, ich sah nur noch die Gefangenen interniert. Es war gerade ein Maikäferjahr, und die Tiere erschienen in unheimlicher Menge, so daß von seiten der Polizei jedem Besitzer eines Baumes aufgetragen worden war, eine bestimmte Menge Maikäfer abzuliefern, und die Gefangenen wurden nun angestellt, dieselben von den Bäumen des Glacis herunter zu schütteln und tot zu treten. Der österreichische Krieg brachte mehr Aufregung, lag doch Torgau der feindlichen Grenze so nahe, daß bei einer Niederlage der Preußen wir den Besuch der Feinde sicher zu erwarten gehabt hätten. Die Festung wurde deshalb in Belagerungszustand versetzt, das schöne die Stadt umgebende Gehölz (Glacis) wurde zum großen Teile abrasiert, die Thore durch Palissaden verrammelt und die Wälle mit Kanonen armiert. Jedem Einwohner wurde befohlen,sich zu verproviantieren; eine Commission sah nach, ob es geschehen war, sonst hatte man zu gewärtigen, im Falle einer Belagerung aus der Stadt verwiesen zu werden. Das wäre mir gerade recht gewesen, deshalb unterließ ich die Verproviantierung. Aber in anderer Hinsicht hätte dieser Krieg auf mein ferneres Leben von Bedeutung sein können; ich mußte mich beim Militär noch einmal stellen und wurde der Ersatzreserve zugeteilt, hätte sich nun der Krieg in die Länge gezogen, so wäre es leicht möglich gewesen, daß ich noch hätte Soldat spielen müssen. Torgau war in jenen Tagen von Militär überfüllt, in unserem Schulhause war die Feldpost eingerichtet worden, gegenüber lag die Commandantur, da kamen und gingen Ordonanzen, Feldjäger u.s.w., es gab beständig etwas zu sehen, und an Unterrichten wurde nicht viel gedacht. Nun kamen die österreichischen Gefangenen in größerer Zahl, sie wurden

dazu verwendet, um außerhalb der eigentlichen Festung noch ein neues Außenwerk anzulegen. 1870 sahen wir die französischen Gefangenen, am jenseitigen Ufer hinter dem Brückenkopf waren Baracken für mehr als 10000 Gefangene erbaut worden. Letztere

genossen viel Freiheiten und wurden nur wenig bewacht. Bei gutem Wetter sah man sie in ihren abgetragenen Kleidern auf der Elbwiese sich lagern, promenieren, Würfel oder Karten spielen, Casperletheater zu geben u.s.w. Die verschiedenen Gestalten und Uniformen boten ein malerisches Bild. Offiziere waren wenige unter ihnen. In der Stadt herrschte beständige Aufregung und war immer auf neu eingehende Depeschen gespannt, des Siegesjubels und der Siegesfeiern wollte kein Ende nehmen. Daß dadurch auch der geregelte Unterricht litt, läßt sich leicht denken, waren doch auch verschiedene Collegen zu den Truppen eingezogen worden, die wir nun zu vertreten hatten.

 

 
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