Die sich täglich immer mehr häufende Anzahl kranker, welche kaum in 5 großen Hospitälern Raum genug hatten, und die große Menge der täglich Sterbenden machte eine große Vorsicht in Hinsicht der Lebensart nothwendig, um Ansteckung zu vermeiden. Es wurden aber auch von Seiten des Commandanten die zweckmäßigsten Maaßregeln ergriffen, um allen möglichen Unfällen vorzubeugen. Einen seltnen Vorfall, welcher sich hier zutrug, muß ich noch erzählen, ehe ich mich wieder zu den Gesunden wende: bei Räumung eines Quartiers wurde an der Zahl der Ausquartierten ein Mann vermißt, welcher sofort als Deserteur angegeben und seiner weiter keine Erwähnung mehr gethan wurde. Nach 10 Tagen wurden in dieses nemliche Quartier einige Grenadiers der Garde gelegt, und als die Wirthinn sich anschickte dasselbe zu diesem Behuf reinigen und altes daselbst liegen gebliebenes Stroh hinausräumte, ergriff sie die Füße eines Menschen; ihr Geschrei rief jene Grenadiers herbei und bei näherer Untersuchung fand sich in diesem alten Stroh der vermißte Mann, welcher Krankheitshalber sich so in dasselbe hineingearbeitet hatte, daß er beim Verlassen der Kammer liegen geblieben war. Er lebte noch, hatte eine ganz gelbe Gesichtsfarbe angenommen und war sehr entkräftet, aber auf die Frage ob ihn hungere antwortete er : ach ne; nicht  ein bischen. Er kam hierauf ins Hospital, wo er wieder genas. Häufiger Kanonendonner überzeugte uns, daß Wittenberg mit uns nicht gleiches Schicksal habe, sondern von den Russen heftig beschossen werde, und schon viel leiden müsse. Wir lebten hingegen in einer Ruhe, welche uns das schöne Bild des Friedens auf einige Augenblick zurück zauberte und unser Torgau glich einer Insel welche ruhig mitten im stürmischen Meere den Orkanen trotzt. Doch auch diese schöne Zeit nahte sich leider ihrem Ende. Um die völlige Ungewißheit, in der wir über das Schicksal unsers Königs schwebten, zu endigen, sandte der Gouverneur einen Obristen vom Generalstabe ab, um Erkundigungen einzuziehen; er konnte aber nicht bis zu ihm dringen, jedoch wurde so viel bekannt, daß der Konig von Regensburg abgereiset sei.

   Ein späterhin von Prag aus ankommender Befehl. die Festung niemandem, wer es auch sei, als mit Genehmigung des Kaisers von Oesterreich zu öffnen, bezeugte seine dortige Gegenwart, da man vorher in dem irrigen Wahn lebte, daß er nach Mainz abgegangen sei. Alles dieses trug sehr dazu bei, unter der Garnison Partheien hervorzubringen, welche anfangs in der Stille sprachen, jedoch immer lauter und lauter wurden; sie theilten sich endlich in drei, nemlich die Russisch=Preußischgesinnten, die Französischgesinnten, welches die kleinste war, und die Gemäßigten, welche sich erst nach den Ereignissen erklären wollten. Am lautesten äusserte sich diese Partheienwuth bei Gelegenheit eines Festes, welches die Dankbarkeit und Liebe der Bürger und der Garnison dem General Thielemann gab. Es war die Feier seines Geburtstages. Schon am frühen Morgen eilten sämmtliche Chefs, begleitet von ihren Offiziers, nach seiner Wohnung, um ihn in ungekünstelten Worten ihre Gefühle darzulegen, und ihn zugleich zu einem Diner einzuladen, welches ihm zu Ehren veranstaltet war. Hier war nun der wahre Tummelplatz aller drei Partheien. Uhngefähr in der Mitte der Mahlzeit ließ der General um Ruhe bitten, weil er gesonnen sei eine Rede zu halten. Als man mit vieler Mühe einige Stille bewürkt hatte, begann er alle seine Schritte zu beleuchten, welche er in den letzten Tagen zum Vortheil der Stadt, aber freilich auch zum Nachtheil der Franzosen, gethan hatte. Diese Schritte, endigte er, werden mir nie jenseits des Rheins gutgeheißen werden, aber nie that ich auch einen derselben in der Hoffnung von dorther Dank einzuerndten. Nach Beendigung dieser mit ungemeinem Ausdruck und seltner Klarheit gehaltenen Rede legte er eine Abschrift davon auf den Tisch, um zu beweisen, daß nicht nur die Gelegenheit, sondern reifes Nachdenken dieselbe hervorgebracht habe. Ein lautes Vivat belohnte seine Freimüthigkeit und einige, die nach ihm auftraten, wurden nicht gehört, weil ihre Ausdrücke zu sehr ihre Gesinnungen verriethen, sie wurden bald zum Schweigen gebracht. Gegen Abend brachten die Bürgen in Procession ihm, nebst einer Danksagungsrede, ein lermendes Vivat, er kam zu ihnen herab und wurde unter fortdauernden Jubel und Freudenbezeugungen auf den Markt geführt, wo im Nu zwischen acht Opferaltären sein Name in einer schönen Pyramide brannte.

   Zur Nacht beschloß ein Ball zwar die Feierlichkeiten, aber nicht die Partheiwuth, welche bei dieser Gelegenheit neue Nahrung erhalten hatte. Was seither im Stillen gegohren hatte, äußerte sich jetzt laut, und ein aufgestecktes weißes Cocärdchen bezeichnete die Russisch Preusische Parthei.

   Allein ganz anders hatte es das Schicksal mit uns beschlossen; die Schlacht bei Lützen war indeß geschlagen und diese entschied auch unser und Torgaus Schicksal.