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es gekommen, wie meine Mutter befürchtet hatte. Wir hatten ein kleines
Schwesterchen bekommen; um die Mutter nicht zu beunruhigen wurde Ida zu
Leuten gebracht, die im kleinen Hinterhause wohnten, und ich kam zu
Onkel August.
An jenem Tage, als die Mutter starb, den 17. März 1858, kam ein Bote,
mich zu holen. Es war schon dunkel drinnen, als ich nach Hause kam, der
Vater nahm meine Hand und führte mich an das Bett der Mutter, sie hatte
nach mir verlangt, sah mich nicht mehr, sondern hatte das Gesicht nach
der Wand gekehrt. Noch einige Seufzer und sie war verschieden. Der
Jammer meines Vaters war unbeschreiblich. Die kleine Schwester nahm am
anderen Tage die “alte Tante” mit zum Onkel August. Diese Tante, die
anfangs erwähnte Friederike Amalie, hatte keinen liebevollen Charakter
und war bei Alt und Jung wenig beliebt. Sie war immer in selbständigen
Stellungen in Berlin gewesen und konnte viel erzählen von hohen
Persönlichkeiten. Diese Tante nahm sich nun mit größter Liebe und
Aufopferung des kleinen sieben Tage alten Schwesterchens an. Am
Sarge der Mutter war dasselbe getauft worden und hatte dieselben Namen
Henriette Amalie erhalten.
Meine Schwester Ida und ich kamen zu einfachen Leuten, den Eltern des
Schiffseigners Taubel im Fischerdörfchen in Pflege. Wie arm man aber
ist, wenn man so ohne Vater- und Mutterliebe aufwächst, das habe ich oft
genug erfahren müssen. Der Vater sorgte ja für alles, was wir
brauchten, aber er war den ganzen Sommer über mit dem Schiffe fort und
kam immer nur auf ganz kurze Zeit nach Hause, um nach uns zu sehen. Wir
waren beinahe zwei Jahre bei den Leuten. Ida war von einschmeichelndem
Wesen und hatte sich bald die Liebe der Leute erworben; von mir hieß es
aber immer: die alte Große, ich war auch riesenhaft groß für mein
Alter. Eines Tages hieß es: Nun kommt ihr wieder zum Vater und zur
kleinen Schwester. Die alte Tante hatte sich nicht mehr mit ihrem
Bruder August vertragen, dagegen hatte sie sich zu unserem Vater immer
sehr liebevoll gezeigt und zog deshalb zu ihm. Die kleine Schwester hat
sie mit der gleichen Liebe gepflegt, es war, als wenn sie alle Liebe,
deren sie fähig war, auf das hilflose Kind übertragen hätte. Sonst war
sie eine harte Natur. Ich mußte mancherlei helfen und Wege besorgen und
stricken; um unsere Schularbeiten bekümmerte sie sich nicht. Sie war
oft recht grausam und schlug uns, wo es nur hintraf, trat mit den Füßen
und schalt sehr viel. Oft mußten wir dann auch ohne Abendbrot zu Bett
gehen, das war für meinen großen Appetit eine harte Strafe. Wir hatten
große Furcht vor ihr.
Dadurch sind wir einst die abenteuerliche Idee gekommen, fortzulaufen;
wir wollten nach dem Waisenhause in Pretzsch, wovon wir gehört hatten.
Mit Pfirsichkernen als Nahrungsmittel in der Tasche gingen wirt fort,
immer an der Elbe entlang, es war zur Zeit der Heuernte; Leute, die von
der Wiese kamen, fragten, wohin wir wollten, und mahnten zurück zu
gehen. Es wurde dunkler, wir standen am Rande der Elbe und wären
beinahe hineingegangen. Obgleich wir uns vor der Strafe fürchteten,
gingen wir doch endlich langsam zurück und blieben auf den Steinen an
Conrads Bildhauerbude an der Ecke der Promenade, wo jetzt das
Mädchenschulgebäude steht, sitzen. Der Nachtwächter war schon
vorbeigegangen und hatte die Tante vielleicht auf uns aufmerksam
gemacht, denn bald kam sie scheltend und holte uns. Nun setzte es
Prügel und am andern Tage auch vom Vater, der gerade nach Hause gekommen
war, denn wir wagten nicht zu sagen, daß wir infolge der fortgesetzten
ungerechten und rauhen Behandlung weggelaufen waren. Einmal, als wir
Drei die Masern hatten, war die Tante nach dem Markt gegangen und hatte
uns eingeschlossen. Das Fenster der Kammer, in der wir lagen, ging nach
dem kleinen Gärtchen hinter dem Hause, da stand ein Pfirsichbaum, der
immer viel Früchte trug. Ungewöhnlich früh mochte in dem Jahre Schnee
gefallen sein, und vom Bett aus sah ich auf demselben viel Pfirsiche
liegen. Im Nu war ich aus dem Bette, barfuß in die mit Steinen
gepflasterte Küche durchs Haus in das Gärtchen, nur mit einem dünnen
Nachtrock bekleidet. Darin sammelte ich schnell die Pfirsiche und
huschte wieder hinein. Als ich Ida davon gab, sagte ich vorsichtig: sie
sind aber sehr kalt, wir wollen sie erst im Bett wärmen. Es hat die
Tante nichts von dem Streich erfahren und geschadet hat es mir auch
nicht. - Mein Vater sah endlich ein, daß es so mit der Tante nicht
weiter ging. Sie kam aus dem Hause, meine Schwester Jettchen nahm Tante
Danner aus Berlin zu sich. Dort blieb sie bis zu ihrem siebenten
Jahre. Sie ist in Berlin sehr augenkrank gewesen und Tante hat viele
Not mit ihr gehabt. Zu uns kam nun eine alte Frau, die uns versorgte.
Für den Vater waren diese Verhältnisse sehr schwer und traurig und er
war recht unglücklich. Die Wirtschaft ging zurück, viel Wäsche und
Anderes hatte man ihm gestohlen.
Vier Jahre waren so hingegangen, dann verheiratete er sich wieder mit
der jetzigen Großmutter, Marie, geb. Götze. Sie war damals bei
ihrer Schwester in Döhlen, die an den Stutenmeister Hennig verheiratet
war. Diese zweite Mutter war in ihrer Art sehr gut gegen uns, sie ließ
und viel Freiheit. Jettchen kam nach einiger Zeit auch wieder zu uns,
sie war uns aber doch entfremdet, und es dauerte längere Zeit, bis sie
wieder eingewöhnt war. Damit ich mehr lernen sollte, kam ich in die
höhere Töchterschule, ich war nun 11 Jahre alt. Bis dahin hatte ich
meinem Vater wohl wenig Freude gemacht, nun wurde es besser, ich paßte
auf und prägte mir alles, was ich gelesen hatte, - und ich las gern und
viel - fest ein, so daß ich bald merkte, wie ich weiter kam. Als ich in
der ersten Klasse war, mußte ich schon öfter für den Vater
Geschäftsbriefe schreiben, wozu er mir den Sinn angab, und ich mußte es
dann ausführen. Er war darin sehr ungeduldig und streng, es setzte
bittere Vorwürfe, wenn es nicht nach Wunsch war, und ich hätte es doch
so gerne meinem Vater zu Danke gemacht, denn ich liebte ihn sehr.
Einen schmerzlichen Eindruck bekam ich, als ich merkte, daß das
Verhältnis des Vaters zur zweiten Mutter ein sehr schlechtes wurde, es
besserte erst in den letzten beiden Lebensjahren des Vaters. Vater war
sehr heftig und die Mutter nicht minder. Wir Kinder litten ja oft sehr
darunter, verschmerzten es aber nach Kinderart auch wieder schnell und
waren in unseren Spielen dann ausgelassen fröhlich. Vetter Carl (der
spätere Musikant) war unser täglicher Spielgefährte; mit Vorliebe
spielten wir Theater, alles aus dem Stegreife. Ida trat gewöhnlich als
Mohr auf, wozu sie ihr Gesicht mit Ruß schwärzte. Die Mutter ließ alle
Tollheiten zu, kam aber der Vater unverhofft dazu, so setzte es etwas,
denn wir hatten allen Staub aufgewirbelt und alles in Unordnung
gebracht, was er durchaus nicht leiden konnte. Er war so peinlich
sauber und eigen in jeder Beziehung, an seiner Kleidung wir in anderen
Dingen. Darin übersah die Mutter leider alles und so hatte der Vater
viel Grund zum Schelten.
Schön waren die herrlichen Spaziergänge, die wir manchen Sonntag mit dem
Onkel August und dem Vetter Carl nach Belgern unternahmen. Es ist mir,
als sei immer Sonnenschein gewesen. Meist ging es auf dem Elbdamm
entlang. In Belgern wurde eingekehrt und nun kam der Glanzpunkt des
Tages, wir bekamen eine ganze Bratwurst zu essen, die uns als endlos
groß erschien und vortrefflich schmeckte. Abends fuhren
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